Interviews

Interview mit Garvin Dickhof

2022 war Garvin Dickhof in Bergkamen, Gütersloh, Kamp-Lintfort und Monheim im Rahmen der Stadtbesetzung mit seinen Projekten unterwegs.

Was ist aus Ihrer Sicht die Bedeutung von Kunst im öffentlichen Raum?

Der öffentliche Raum dient der Allgemeinheit. Diese Haupteigenschaft zeigt, dass es wichtig ist, partizipatorische Projekte zu nutzen, um gesellschaftliche Prozesse zu initiieren. Künstlerische Interventionen können dabei eine Möglichkeit zur Stärkung der Menschen sein, da sie vereinheitlichte Überzeugungen und Verhaltensweisen ändern können und dabei auch noch als Problemindikator fungieren können. Durch aktives Involvieren oder auch schon durch die passive Anwesenheit der Menschen können Handlungsräume zur lokale Identitätskonstruktion erschaffen werden.

Der Zugang zum öffentlichen Raum erfolgt meist auf einer spielerischen Art und lebt von der Schöpfung einer neuen Wirklichkeit, die dem Betrachter parallel zu seiner eigenen Realität dargeboten wird. Interessanterweise liegt im Spielerischen auch das Potential Barrieren, wie Alter, Schicht und Nationalitäten zu überwinden.

Der temporäre Charakter von Interventionen lässt keine für die Ewigkeit geschaffene Kunst entstehen, sondern sorgt für eine Veränderung, die wie aus dem Nichts auftauchen und ebenso unvermittelt wieder verschwinden kann und dennoch einen andauernden Eindruck bei den involvierten Rezipient*innen hinterlassen kann.

Veränderte Atmosphären werden sichtbar und unsichtbar im Projektraum erschaffen. Diese beinhalten Potentiale für neue Denkansätze und Prozesse, die sich aus den Interventionen entwickeln.

 

Was macht das Projekt Stadtbesetzung Ihrer Meinung nach aus?

Das Projekt Stadtbesetzung ist für alle zugänglich. Menschen aller Altersgruppen, sowohl kunstinteressierte wie kunstfremde, werden angesprochen. Außerdem bietet das Projekt die Möglichkeit für Perspektivwechsel und kann zur Neukonfiguration von Orten führen.

Der Perspektivwechsel ist ein aktiver, kognitiver Prozess, bei dem sich eine Person die Welt aus dem Blickwinkel einer anderen Person vorstellt oder sie sich selbst gedanklich in die Lage einer anderen Person versetzt, um deren visuelle Sichtweise, Gedanken, Motivation, Intention und/oder Emotionen zu verstehen.

Die Projekte der Stadtbesetzung können Orte beleben und in ihrer Erlebbarkeit verändern. Orte, an denen künstlerische Interventionen durchgeführt werden, verändern ihr Wesen auch im Nachhall. Erinnerungen an eine positive Aufladung des Umfeldes führen dazu, dass über den Raum gesprochen wird. Geschichten werden erzählt, wodurch die vorherigen Assoziationen zum Ort mit neuen Erfahrungen und Mitteilungen ausgetauscht werden.

 

Erzählen Sie uns etwas über das Projekt – Wie kam es zu der Idee, was war Ihre Intention?

DisCover (Monheim, Gütersloh)

Bei einem Gang durch eine fremde Stadt, fiel mir auf, dass vieles im städtischen Umfeld ausgeblendet wird. Tourist*innen nehmen eine Stadt anders wahr als Einheimische. Die Aufmerksamkeit wird auf sonstiges Geschehen fokussiert.  Mein Ziel war es Objekte, die aufgrund von mangelnder Aufmerksamkeit aus dem Blick verschwinden, wieder in das Bewusstsein der Passant*innen zu holen. Durch das Umbauen und das Verhüllen der Objekte, wurden die Neugier der Menschen geweckt. Die ummauerte Skulptur regte die Menschen dazu an, nachzudenken, was sich dahinter befindet. Nach der Aktion, als die Skulptur wieder befreit war, erzählten die Zeug*innen der Verhüllung anderen Menschen davon. Somit wurden den Objekten wieder ein wenig mehr Beachtung geschenkt.

Sperrmüllambulanz – Jedes verdient eine zweite Chance (Bergkamen)

Bettgestelle, Bügelbretter, Schränke, Regale, Stühle, Tische, Kinderwagen… ein Sammelsurium an Dingen, die nicht mehr benötigt werden. Zu bestimmten Zeiten häuft sich am Straßenrand Sperrmüll an. Jedoch ist Sperrmüll mehr als nur ein Brennstoff. Sperrmüll ist auch Wert- und Werkstoff.

Im mobilen Re- und Up-cycling Projekt Sperrmüllambulanz fuhr ich am Sperrmülltag mit meinem Werkstatt-Cargobike die Stadt ab und nahm das am Straßenrand liegende Material in Augenschein. Material, dass noch nützlich war, wurde vor Ort zu neuen Objekten gestaltet. So entstanden Design- und Kunstobjekte – mit und ohne Funktion. In einem Prozess des Re- bzw. Up-Cyclings wird aus „Müll“ wieder etwas von Bedeutung.

 

Hebebalkon – Zu Besuch auf Balkonien (Kamp-Lintfort, Viersen)

Während der Pandemie stellte ich mir die Frage: „Wie kann man Menschen erreichen in Zeiten von Distanz und Isolation?“ Hinzu kam der Umstand, dass die Leute nicht reisen durften. So entstand die Idee des Hebebalkons. Der Balkon auf einer mobilen Hebebühne ermöglichte mir den Besuch. Mit einem vollausgestatteten Balkon mit Gartenstühlen, Tisch, Sonnenschirm, Kühlschrank, Blumen und natürlich Grill fuhr ich langsam und gemächlich durch die Straßen. An geeigneten Balkonen bat ich um Erlaubnis, dann surrte der Hebebalkon hinauf. Auf Augenhöhe mit anderen Urlauber*innen war es mir nun möglich sich über den Urlaubsort, Wetter, Essen und anderen Themen zu unterhalten.

 

Wie war die Resonanz bei den Besucher*innen?

Meine Projekte sollen den Menschen ermöglichen, Kunst und Design über einen niederschwelligen Zugang zu erleben. Die Passant*inneen gliederten sich entsprechend ihrer Reaktion in drei Gruppen. Zunächst schauten sie irritiert zu und ein Teil des Publikums nahm meine Tätigkeit einfach hin und wartete ab, was passiert (Irritation). Die Projekte boten den Betrachtenden vertraute Anknüpfungs- und Wiedererkennungspunkte die sie schließlich zu komplexen künstlerischen Inhalten leiteten.

Ein anderer Teil fragte nach dem Sinn bzw. dem Ziel. Die Menschen kamen miteinander ins Gespräch und tauschten sich aus.

Eine weitere Gruppe war in der Lage, die Aktion komplett auszublenden, da sie mit der Situation nicht umgehen konnten. Alles was nicht in die bekannte Realität hinein passt wird von einigen Menschen bewusst ignoriert. Dies ist eine nicht zu unterschätzende Fähigkeit und zugleich eine erschreckende Schwachstelle.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Foto: Urlaub auf Balkonien, Kamp-Lintfort © Stefan Büschken