„Ich und Du – Über uns der Himmel“ in Remscheid

Schwarz-Weiß Foto von einem bewölkten Himmel über einem Strand.

In diesem Jahr hat die Ins Blaue Art Gallery im Zuge der Stadtbesetzung Künstler*innen dazu eingeladen, eine Zeit lang am Honsberg zu leben und zu arbeiten. In einer Zeit von gegenseitigem Misstrauen und Umwälzungen in Europa und darüber hinaus, möchte Ins Blaue zu einer Suche nach Gemeinsamkeiten, nach den verbindenden Elementen des Menschseins animieren.

Es ist ein ergebnisoffener Prozess, bei dem die Eingeladenen gleichzeitig für sich, oder auch gemeinsam, Leben und Arbeiten können. Parallel mit den teilnehmenden Künstler*innen der Stadtbesetzung wird auch Vera Vorneweg im Rahmen der „Werkproben“ am Honsberg arbeiten und in Live-Writing-Performances ihre Eindrücke und Erlebnisse verarbeiten.

Zum Start des Projektes ist in der Ins Blaue Art Gallery die kooperative Ausstellung „Pain & Beauty“ von Hanna Melnykova und Vera Vorneweg zu sehen. Die Künstlerinnen haben im letzten Jahr ihre künstlerischen Ausdrucksformen – Fotografie und Text – verbunden und in dieser Verknüpfung ausdrucksstarke neue Arbeiten geschaffen. Parallel dazu beginnt die Arbeitsphase der RaumZeitPiraten. Die Öffnung der Galerie gleich zu Beginn, das Kennenlernen, ins Gespräch kommen, ist dabei wichtig, um die Bewohner*innen und Besucher*innen auf die folgenden Wochen einzustimmen.

 

In einer Art Zwischenprobe werden die RaumZeitPiraten und Hanna Melnykova immer wieder ihre Türen öffnen, um in einen Austausch oder einer spontanen Interaktion einzutreten. Hanna Melnykova plant in den Räumen der Galerie ein Fotoatelier und eine temporäre Dunkelkammer einzurichten. In einem sehr sensiblen fotografischen Prozess, der auf Pflanzenbasis beruht, der Anthotypie, wird sie eine Reihe von Bildern erarbeiten, in denen sie versucht, Erinnerungen an Menschen und Orte aus ihrem Heimatland Ukraine festzuhalten und gleichzeitig eine Verbindung zu ihrem aktuellen Aufenthalt am Honsberg zu ziehen. Ihre Begegnungen und Kontakte mit Menschen und Landschaften aus der Region sollen sowohl ihre persönlichen Erinnerungen und Eindrücke als auch ein universelles Bild über unser Menschsein widerspiegeln.

Die Pflanzen, die sie für das Verfahren der Anthotypie benötigt, werden im Viertel, gerne gemeinsam mit interessierten Bewohner*innen/Besucher*innen, während ihres Aufenthaltes gesammelt und zur Herstellung der Bilder verwendet.

 

Die RaumZeitPiraten entwerfen alternative, intime Mensch-Maschine Interaktionen als offenes Geflecht, um zu neuen Beziehungsmodellen jenseits von Technologiehörigkeit und Technologieverweigerung zu finden. Auch während ihres Aufenthaltes am Honsberg werden sie ihre vielfältigen Möglichkeiten öffentlich erproben und eine ortsbezogene Umsetzung anstreben. So wird es nächtliche Projektionen geben als auch die Einladung in gemeinsamen Streifzügen das Viertel mit Hilfe von „Licht-Angeln“ in der Dunkelheit neu zu entdecken.

 

Auch der Austausch und eine mögliche Zusammenarbeit mit Hanna Melnykova wird neue Perspektiven und Arbeitsmöglichkeiten aufzeigen. Das Künstlerkollektiv möchte vor Ort in ihrer experimentellen, multimedialen und interaktiven Arbeitsweise im Viertel neue Möglichkeiten des gemeinsamen kreativen Handelns mit den Besucher*innen und Bewohner*innen entwickeln.

Foto: Regina Friedrich-Körner

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Hanna Melnykova

Hanna Melnykova ist eine ukrainische Fotografin und Vorsitzende der Ukrainian Women Photographers Organization. Von 2009 bis 2014 studierte sie an der Royal Academy of Art in Den Haag, NL (KABK). > mehr

RaumZeitPiraten

Die RaumZeitPiraten (Tobias Daemgen, Jan Ehlen, Moritz Ellerich) sind seit 2007 als Gruppe aktiv. Als Technologiekünstler verknüpfen ihre Tätigkeitsbereiche die Felder der Medienperformance, ortsspezifischen Rauminstallationen, immersiven Umgebungen, kinetischen Skulpturen und interaktiven Instrumente. > mehr

„Den Raum erweitern“ in Remscheid

Menschen im urbanen Raum

Stadt- und Lebensraum aus künstlerischer Sicht zu befragen, zu erforschen und neu zu definieren ist seit 2020 ein Leitthema der Ins Blaue Art Gallery in Remscheid-Honsberg. Auch in diesem Jahr konnte die Galerie vier Künstlerinnen einladen, vor Ort mit ihren spezifischen Sicht- und Arbeitsweisen Impulse für diese gesellschaftliche Auseinandersetzung einzubringen. Ab August 2023 werden die Künstlerinnen am Honsberg leben und arbeiten. Dabei geht es insbesondere um die Beschäftigung mit dem ehemaligen Arbeiterviertel, seiner Gegenwart und Zukunft.

Einen ersten Impuls bringt Eva Wal mit ihren Gedichten und phantastischen Texten, die sie zu einer Art Gewebe werden lässt, bei der die Textur ihrer Handschrift sich vom Wort als autonomen Wesen abhebt. Das Verweben der Linien geschieht dabei, indem sie die Zeilen vorwärts und rückwärts, also in Spiegelschrift, schreibt. Dabei macht sie vor keinem Untergrund Halt, vom Taschentuch oder Pflanzenblatt bis zur Wand eines Gebäudes. In Remscheid wird Eva Wal ihre Gewebe-Texte in Situ „ins Blaue“ hinein und immer weiter wuchern lassen. Dabei ist auch spontan-performatives Geschehen möglich.

Hacer Bozkurt befasst sich aus architektonischer Perspektive mit dem Industriekulturerbe des Bergischen Landes und des Ruhrgebiets und dessen Stellenwert im öffentlichen Leben. Auf ihrer fotografischen Entdeckungsreise sind die Veränderungen vom Damals zum Heute wichtiges Verbindungs- und Schlüsselelement. Dabei wird sie ausgehend vom Remscheider Viertel Honsberg weitere Streifzüge durch die Region unternehmen. Die Ergebnisse ihrer Reise werden in der Vereinsgalerie präsentiert.

Für Adrienne Brehmer bedeutet der Stadtteil Honsberg eine literarische Erkundungsreise. Mehrere Tage wird sie mit Stift und Papier losziehen und verschiedene Orte aufsuchen (zum Beispiel den dortigen Hochbunker, das ein oder andere Kunstatelier in der Halskestraße, den Gemeinschaftsgarten des Vereins). Sicher wird sie viele weitere Orte in der Umgebung erwandern und diese mal lyrisch, mal in kleinen Erzählungen zu Papier bringen. Die Ergebnisse werden von der Autorin in einer abschließendes Lese-Performance präsentieren, indem sie mit dem Publikum einen Spaziergang zu den jeweils beschriebenen Orten unternimmt.

Vera Vorneweg unternimmt im Rahmen ihrer Literatur-Installation im öffentlichen Raum in Remscheid-Honsberg den Versuch u, die Dichte von Stadtviertel-Geschehnissen literarisch einzufangen, um diese auf eine ausgewählte Fläche im öffentlichen Raum am Honsberg aufzutragen. Hierbei geht es ihr vor allem um die Verwandlung einer Freifläche (z.B. den Bunker) in einen literarischen Kunstort.

In ihrer ersten Version entstehen die Texte handschriftlich und werden in einem Notizbuch festgehalten, woraufhin sie im zweiten Schritt digitalisiert und in eine literarische Form gebracht werden. Ebenso begegnet sie mit der Veröffentlichung ihrer Texte dem Leerstand bzw. der Stilllegung des Viertels, mit einer künstlerischen Antwort – es ist eine Transformation des nicht mehr Gebrauchten, in Fülle und Dichte und es ist auch eine Art Aufruf, dass jede*r zu dieser Verwandlung der Stadt beitragen kann und dass wir Menschen doch diejenigen sind, die unser Lebensumfeld und unseren Alltag darin Tag für Tag neu beschreiben.

Fotos: © Ins Blaue Art Gallery Remscheid

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Vera Vorneweg

Vera Vorneweg (*1985) lebt als freie Schriftstellerin und Künstlerin in Düsseldorf. Nach zahlreichen Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften erschien 2022 ihr Debüt „Kein Wort zurück“ in der Edition Muschelkalk im Wartburg-Verlag. > mehr

Eva Wal

Eva Wal (*1966) lebt im Bergischen Land und arbeitet als Bildende- und Wort-Künstlerin. Sie bleibt dicht am Menschen, seiner Umwelt, dicht an der Natur. > mehr

Adrienne Brehmer

Adrienne Brehmer lebt als freie Schriftstellerin und Buchschaffende in Köln. 2008 debütierte sie mit dem Leporello Hinter den Bergen (Gedichte und Wortspiele) im van Aaken Verlag. > mehr

Hacer Bozkurt

Hacer Bozkurt (*1989) ist eine lokal und international tätige Architektin und Architekturfotografin aus der Türkei. > mehr

„Von innen nach außen / von außen nach innen“ in Remscheid

Erinnerungen und Geschichten sammeln – Artist in Residence in Remscheid-Honsberg

Remscheid-Honsberg // Ausgestattet mit einer blauen Stofftasche schlenderte Brandstifter durch die Straßen des Remscheider Stadtteils Honsberg. Ein paar Zettelchen, Schnipsel und Objekte für seine Asphaltbibliotheque hat er schon gesammelt. Am 2. Juli präsentierte er das Ergebnis bei einer Abschlussveranstaltung des Artist-in-Residence-Programms, das Teil der diesjährigen Stadtbesetzung war. Aus den gesammelten Fundstücken erstellte er eine Wandinstallation, die auf besondere Art und Weise Geschichten aus dem Stadtteil Honsberg erzählte.

Brandstifter löste die beiden Künstler*innen Elaine Vis (Utrecht) und Georg Schmitt (Mainz) ab, die vom 5. bis zum 26. Juni in der Kulturwerkstatt Ins Blaue Quartier bezogen. Die Niederländerin Elaine Vis entlockte den Honsberger*innen Geschichten, die nun in Form von Baumtattoos verewigt sind. An den Handlungsorten der Geschichten brachte Vis passende Begriffe aus Perlen und Wachs an. So ziert das Wort „Vertrauen“ einen Baum an einer Bushaltestelle. Das Wort „Freien“ verband ein Honsberger mit seiner „Sturm und Drang“-Zeit. Das Baumtattoo hängt nun an einer Linde nah der Honsberger Kneipe. Über „Phosphorfreie Straßen“ freute sich eine Dame Ende des Zweiten Weltkrieges.

Ihr Künstler-Kollege und Mitbewohner auf Zeit sammelte ebenfalls Geschichten und hielt sie durch Gesichtsausdrücke der Erzählenden fotografisch fest. „Binnenpretje“, niederländisch für stilles Vergnügen, heißt Georg Schmitts Projekt. Er bat die Besucher*innen bzw. Besuchten, an eine intensive Erinnerung zu denken. Genau in dem Moment drückte Schmitt den Auslöser. Entstanden ist eine intime Bildergalerie aus unterschiedlichen Emotionen der Honsberger*innen.

Vis und Schmitt wurden nach einer Abschlussveranstaltung, bei der die Ergebnisse ihrer Projekte vorgestellt wurden, vom Mainzer Künstler Brandstifter abgelöst. Vom 27. Juni bis zum 2. Juli sammelte er vor Ort Inhalte für seine Asphaltbibliotheque – ein Projekt, das der Künstler schon seit 1989 verfolgt. Dabei liest er auf, was der Asphalt eines Ortes zu bieten hat: Einkaufszettel, Schnipsel, Objekte, Fahrkarten, Briefe, Folien …

Beim performativen Begehen eines Ortes, entsteht Kunst schon während des Sammelns – und diese Kunst ist partizipativ: Nicht nur kommt Brandstifter beim Begehen einer Stadt bzw. eines Ortes mit neugierigen Bewohner*innen ins Gespräch über sein Vorhaben, jede*r kann sich auch direkt am Projekt beteiligen: Brandstifter lud die Honsberger*innen ein, ihre Fundstücke in einem Fundzettelkasten vor der Ins Blaue Art Gallery einzuwerfen. „Seit Brandstifter in Honsberg unterwegs ist, suche ich den Gehweg häufiger ab, bleibe stehen und sammle einige Dinge sogar ein“, berichtete Katja Wickert, Kuratorin der Ins Blaue Art Gallery.

Mit seiner Aktion greift der Künstler in den öffentlichen Raum ein, deutet vermeidlichen „Müll“ um und regt Bürger*innen dazu an, ihre Umgebung mit anderen Augen zu betrachten. „Man kann Kunst direkt vor der Haustür entdecken. Sie kostet nichts als die Überwindung, die Umgebung aufmerksam zu betrachten und Dinge aufzuheben“, so Brandstifter.

 

Aus den Fundstücken kreiert der Künstler Wandinstallationen, die die Atmosphäre einer Stadt oder eines Orts einfangen. Dabei ist jede Asphaltbibliotheque individuell, einzigartig und immer ein Abbild der Zeit, in der sie entstanden ist. Masken, berichtete Brandstifter, findet er aktuell besonders häufig. Aus dem Honsberger Asphalt hat er außerdem ein Zeugnis des Aufenthaltes seines Vorgängers entdeckt: „Guten Morgen Georg, ich war um 5.00 Uhr mit frischem Kaffee hier draußen. Habe dich nicht gesehen – Tarnkappe?“, ist auf dem Zettel zu lesen.

Die Wandinstallation sowie Filmaufnahmen der Performativen Begehung wurden am 2. Juli in einer Abschlussveranstaltung in der Ins Blaue Gallery präsentiert. Die Fundstücke werden sicher in Brandstifters Asphaltbibliotheque verstaut und können immer wieder aufgehängt werden.

 

Dem Ziel, den Stadtteil Honsberg neu zu beleben, ist das Team der Ins Blaue Art Gallery mit ihrem Residenzprogramm ein großes Stück nähergekommen. Die engagierten Kuratorinnen haben aber noch einiges vor: Mit einem NachbarschaftsWohnzimmer wird ein Café als Treffpunkt geschaffen, in dem Veranstaltungen, Konzerte, Lesungen, Spieleabende und Filmvorführungen stattfinden sollen. Zudem plant die Galerie, Honsberger Geschichten an die Hauswände des Stadtteils zu bringen. Brandstifters Asphaltbibliotheque in diesem Zuge an einem Fries zu verstetigen, ist ebenfalls eine Überlegung.

 

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Georg Schmitt

Georg Schmitt, 1963 geboren in Trier, studierte von 1984 bis 1991 Klassische Philologie, Philosophie, Klassische Archäologie und Kunstgeschichte in Bonn und Tübingen. Seit 1997 ist er in den Bereichen Film, Literatur, Kunst, Musik und Journalismus tätig. > mehr

Brandstifter

Der interdisziplinäre Aktionskünstler Brandstifter hat 1998 alle öffentlichen Straßen und Plätze zur Asphaltbibliotheque erklärt und ist seitdem überall auf der Welt unterwegs, um Fundzettel aufzulesen und diese für Installationen mit Kunst aus dem öffentlichen Raum nutzbar zu machen. > mehr

Die Künstlerin Elaine Vis versteht Kultur als kollektiv angenommenen Ideen und Gewohnheiten. Diese selbstgestaltete Realität mit akzeptierter „Doppelmoral“ erregt ihre Aufmerksamkeit. > mehr