Stadt- und Lebensraum aus künstlerischer Sicht zu befragen, zu erforschen und neu zu definieren ist seit 2020 ein Leitthema der Ins Blaue Art Gallery in Remscheid-Honsberg. Auch in diesem Jahr konnte die Galerie vier Künstlerinnen einladen, vor Ort mit ihren spezifischen Sicht- und Arbeitsweisen Impulse für diese gesellschaftliche Auseinandersetzung einzubringen. Ab August 2023 werden die Künstlerinnen am Honsberg leben und arbeiten. Dabei geht es insbesondere um die Beschäftigung mit dem ehemaligen Arbeiterviertel, seiner Gegenwart und Zukunft.
Einen ersten Impuls bringt Eva Wal mit ihren Gedichten und phantastischen Texten, die sie zu einer Art Gewebe werden lässt, bei der die Textur ihrer Handschrift sich vom Wort als autonomen Wesen abhebt. Das Verweben der Linien geschieht dabei, indem sie die Zeilen vorwärts und rückwärts, also in Spiegelschrift, schreibt. Dabei macht sie vor keinem Untergrund Halt, vom Taschentuch oder Pflanzenblatt bis zur Wand eines Gebäudes. In Remscheid wird Eva Wal ihre Gewebe-Texte in Situ „ins Blaue“ hinein und immer weiter wuchern lassen. Dabei ist auch spontan-performatives Geschehen möglich.
Hacer Bozkurt befasst sich aus architektonischer Perspektive mit dem Industriekulturerbe des Bergischen Landes und des Ruhrgebiets und dessen Stellenwert im öffentlichen Leben. Auf ihrer fotografischen Entdeckungsreise sind die Veränderungen vom Damals zum Heute wichtiges Verbindungs- und Schlüsselelement. Dabei wird sie ausgehend vom Remscheider Viertel Honsberg weitere Streifzüge durch die Region unternehmen. Die Ergebnisse ihrer Reise werden in der Vereinsgalerie präsentiert.
Für Adrienne Brehmer bedeutet der Stadtteil Honsberg eine literarische Erkundungsreise. Mehrere Tage wird sie mit Stift und Papier losziehen und verschiedene Orte aufsuchen (zum Beispiel den dortigen Hochbunker, das ein oder andere Kunstatelier in der Halskestraße, den Gemeinschaftsgarten des Vereins). Sicher wird sie viele weitere Orte in der Umgebung erwandern und diese mal lyrisch, mal in kleinen Erzählungen zu Papier bringen. Die Ergebnisse werden von der Autorin in einer abschließendes Lese-Performance präsentieren, indem sie mit dem Publikum einen Spaziergang zu den jeweils beschriebenen Orten unternimmt.
Vera Vorneweg unternimmt im Rahmen ihrer Literatur-Installation im öffentlichen Raum in Remscheid-Honsberg den Versuch u, die Dichte von Stadtviertel-Geschehnissen literarisch einzufangen, um diese auf eine ausgewählte Fläche im öffentlichen Raum am Honsberg aufzutragen. Hierbei geht es ihr vor allem um die Verwandlung einer Freifläche (z.B. den Bunker) in einen literarischen Kunstort.
In ihrer ersten Version entstehen die Texte handschriftlich und werden in einem Notizbuch festgehalten, woraufhin sie im zweiten Schritt digitalisiert und in eine literarische Form gebracht werden. Ebenso begegnet sie mit der Veröffentlichung ihrer Texte dem Leerstand bzw. der Stilllegung des Viertels, mit einer künstlerischen Antwort – es ist eine Transformation des nicht mehr Gebrauchten, in Fülle und Dichte und es ist auch eine Art Aufruf, dass jede*r zu dieser Verwandlung der Stadt beitragen kann und dass wir Menschen doch diejenigen sind, die unser Lebensumfeld und unseren Alltag darin Tag für Tag neu beschreiben.
Fotos: © Ins Blaue Art Gallery Remscheid
In diesem Jahr hat die Ins Blaue Art Gallery im Zuge der Stadtbesetzung Künstler*innen dazu eingeladen, eine Zeit lang am Honsberg zu leben und zu arbeiten. In einer Zeit von gegenseitigem Misstrauen und Umwälzungen in Europa und darüber hinaus, möchte Ins Blaue zu einer Suche nach Gemeinsamkeiten, nach den verbindenden Elementen des Menschseins animieren.
Es ist ein ergebnisoffener Prozess, bei dem die Eingeladenen gleichzeitig für sich, oder auch gemeinsam, Leben und Arbeiten können. Parallel mit den teilnehmenden Künstler*innen der Stadtbesetzung wird auch Vera Vorneweg im Rahmen der „Werkproben“ am Honsberg arbeiten und in Live-Writing-Performances ihre Eindrücke und Erlebnisse verarbeiten.
Zum Start des Projektes ist in der Ins Blaue Art Gallery die kooperative Ausstellung „Pain & Beauty“ von Hanna Melnykova und Vera Vorneweg zu sehen. Die Künstlerinnen haben im letzten Jahr ihre künstlerischen Ausdrucksformen – Fotografie und Text – verbunden und in dieser Verknüpfung ausdrucksstarke neue Arbeiten geschaffen. Parallel dazu beginnt die Arbeitsphase der RaumZeitPiraten. Die Öffnung der Galerie gleich zu Beginn, das Kennenlernen, ins Gespräch kommen, ist dabei wichtig, um die Bewohner*innen und Besucher*innen auf die folgenden Wochen einzustimmen.
In einer Art Zwischenprobe werden die RaumZeitPiraten und Hanna Melnykova immer wieder ihre Türen öffnen, um in einen Austausch oder einer spontanen Interaktion einzutreten. Hanna Melnykova plant in den Räumen der Galerie ein Fotoatelier und eine temporäre Dunkelkammer einzurichten. In einem sehr sensiblen fotografischen Prozess, der auf Pflanzenbasis beruht, der Anthotypie, wird sie eine Reihe von Bildern erarbeiten, in denen sie versucht, Erinnerungen an Menschen und Orte aus ihrem Heimatland Ukraine festzuhalten und gleichzeitig eine Verbindung zu ihrem aktuellen Aufenthalt am Honsberg zu ziehen. Ihre Begegnungen und Kontakte mit Menschen und Landschaften aus der Region sollen sowohl ihre persönlichen Erinnerungen und Eindrücke als auch ein universelles Bild über unser Menschsein widerspiegeln.
Die Pflanzen, die sie für das Verfahren der Anthotypie benötigt, werden im Viertel, gerne gemeinsam mit interessierten Bewohner*innen/Besucher*innen, während ihres Aufenthaltes gesammelt und zur Herstellung der Bilder verwendet.
Die RaumZeitPiraten entwerfen alternative, intime Mensch-Maschine Interaktionen als offenes Geflecht, um zu neuen Beziehungsmodellen jenseits von Technologiehörigkeit und Technologieverweigerung zu finden. Auch während ihres Aufenthaltes am Honsberg werden sie ihre vielfältigen Möglichkeiten öffentlich erproben und eine ortsbezogene Umsetzung anstreben. So wird es nächtliche Projektionen geben als auch die Einladung in gemeinsamen Streifzügen das Viertel mit Hilfe von „Licht-Angeln“ in der Dunkelheit neu zu entdecken.
Auch der Austausch und eine mögliche Zusammenarbeit mit Hanna Melnykova wird neue Perspektiven und Arbeitsmöglichkeiten aufzeigen. Das Künstlerkollektiv möchte vor Ort in ihrer experimentellen, multimedialen und interaktiven Arbeitsweise im Viertel neue Möglichkeiten des gemeinsamen kreativen Handelns mit den Besucher*innen und Bewohner*innen entwickeln.
Foto: Regina Friedrich-Körner
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