Drei Tage und drei Brote – dazwischen viele Schritte, Gespräche und Begegnungen. Mit Gasherd und kleinem Schilderwald an Bord war das MOBIL FÜR HIER UND JETZT wie ein Wiedergänger in der Innenstadt Paderborns unterwegs, hat Blicke auf sich gezogen und Nachfragen provoziert. Scheppernd, langsam, aber erstaunlich wendig hat sich das eigentümliche Gefährt durch den Stadtraum bewegt und dazu aufgefordert, für einen bewussten Moment aus der Hektik des Alltags auszusteigen.
Der Teig – nicht nur im Untertitel des Projekts, sondern auch ganz real mitgeführt – war wie ein Pate, der symbolisch das Diktat der schnellen Taktung hinterfragte. Schließlich brauchte die klebrige Masse viele Stunden, um sich bei langer Teigführung in ein schmackhaftes Sauerteigbrot zu verwandeln. Gut Ding will Weile haben. Unser Teig hatte Zeit. Ein gutes Erlebnis braucht jedoch keinen großen Aufwand. So hat sich das MOBIL FÜR HIER UND JETZT als dezidierter Kontrapunkt zur aufgeregten Eventkultur verstanden, indem es improvisiert und schlicht auftrat. Das Angebot war beschränkt, die Handlungen einfach: langsam Gehen, an einem Ort stehen, chorisch flüstern oder Brot essen.
Wie sehr es die Wahrnehmung verändert, wenn man sich der Öffentlichkeit aussetzt, haben die Menschen erlebt, die sich darauf eingelassen haben, mit einem Schild in der Hand eine Weile für das HIER und JETZT einzustehen. Sowohl das Anschauen der Umgebung als auch die Selbstwahrnehmung konnten sich verändern, fokussieren. Wie einen „Anker im Moment“ haben einige Mitmachende das Stehen mit Schild beschrieben, das sie im Handumdrehen zum Teil der Aktion werden ließ. Eine simple Handlung machte den öffentlichen Raum zur Bühne, die offen ließ, wer in welchem Moment Angeschaute*r und wer Betrachtende*r war. „Ich kenne mich in Paderborn sehr gut aus und habe diesen Ort doch ganz und gar anders wahrgenommen.“, so eine Teilnehmerin, die sich zum verweilenden Stehen mitten in der Stadt überwunden hatte. Drei Tage lang war das MOBIL in der Domstadt sichtbar. Wer sich Zeit ließ, konnte das HIER UND JETZT erleben, ergehen, hören und schmecken. Unser Teig war nicht nur ein stetiger Begleiter, sondern auch ein verlässlicher – trotz Geholper über Kopfsteinpflaster ließ er sich am Ende eines jeden Aktionstages zu einem knusprigen Brot backen.
„Ohne das Alte ist das Leben nicht das Neue“ in Paderborn
Die Performance, die sich in zwei Stunden vom Quellgebiet entlang der Pader als Spaziergang entwickelt, ist eine Hommage an die Pader in drei Teilen. Die einzelnen Stationen des Parcours setzen sich mit Berufen auseinander, die in der Vergangenheit an der Pader ausgeübt wurden.
Die Berufe und ihr Handwerk haben sich verändert: Die Wäscherinnen waschen nicht mehr in der Pader, die Feuerwehr entnimmt kein Wasser mehr aus der Pader und die Wassermühlen bedienen keine Kornmühlen mehr.
Die international arbeitende Performancekünstlerin Nezaket Ekici (*1970) stellt die ursprünglichen Tätigkeiten des Waschens, Löschens und Mahlens in abstrahierter und szenischer Form dar und zeigt deren Abhängigkeit zur Pader auf. Immer steht dabei die grundlegende Bedeutung der Pader für die Entstehung des Lebens in Paderborn im Mittelpunkt. Die Pader und ihr Wasserreichtum war und ist Lebensbedingung für die Menschen in Paderborn und hat das Leben ermöglicht und strukturiert.
Nezaket Ekici sucht in ihren Aktionen nicht nur die Interaktion mit dem Publikum. In Paderborn haben sogar zwölf Helfer*innen die Gelegenheit, Teil der Performance zu werden.
„Querstadtein. Das Miteinander von Wildtieren und Menschen im städtischen Raum“ in Paderborn
Im Rahmen der Paderborner Stadtbesetzung fanden am 23. und 24. September 2022 zwei Veranstaltungen mit der bildenden Künstlerin Nicole Schuck statt.
Bei einem Erzählspaziergang kombinierte Schuck Vor-Ort-Beobachtungen und weitere Recherchen mit Imaginiertem. Auf diese Weise entstand ein lebendiges Porträt des Miteinanders von Wildtieren und Menschen, ohne Material zu verbrauchen. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf die unscheinbaren und ungeordneten natürlichen Grünflächen. Dieses Stadtgrün bietet den wilden Stadttieren optimale Lebensbedingungen und sichert somit ihre Existenz und die Artenvielfalt. Sie wirken zudem ausgleichend auf Hitzewellen und Starkregen, sind die Flächen noch so überschaubar, was sich positiv auf das Wohlbefinden aller auswirkt.
Eine neue Perspektive auf das städtische Ökosystem wurde anschließend bei einem Zeichen-Workshop eingenommen. Teilnehmende erkundeten zeichnerisch das Wildtierleben der Umgebung von Schloss Neuhaus und sprachen über Werte der Tiere, ob kulturell, ökologisch oder persönlich.
Bei den Aktionen wurde der Frage nachgegangen, wie ein solidarisches Miteinander von Wildtier und Mensch jetzt und zukünftig gelebt werden kann. Was kann jede*r Einzelne tun?
Weitere Informationen zum Workshop entnehmen Sie dem Flyer.
Irrgäste flanieren durch die Paderborner Innenstadt, erregen Aufmerksamkeit in ihrer ungewöhnlichen Bekleidung, werfen Fragen auf. Ein Moment der Irritation. Urban Art eben.
Irrgäste sind Arten, die in Gebieten erscheinen, wo sie normalerweise nicht ständig wahrgenommen werden. Die „living sculptures“ von Guda Koster und Frans van Tartwijk sind Irrgäste außerhalb von Kunstgalerien und Museen. Im Rahmen der Stadtbesetzung sind sie am 24. Oktober durch die Paderborner Innenstadt gewandert.
Der öffentliche Raum wurde gestört, nicht aggressiv und laut, sondern mit weichem Stoff, auffallenden Mustern, absurden Kleidern. Kleidung hat nicht nur eine Funktion, sondern vermittelt auch eine Botschaft. In unserem Alltag kommunizieren wir Identität vor allem über unsere Kleidung. Kleidung kann als visuelle Kunstform angesehen werden, die unser Selbstverständnis und unsere Beziehung zur Welt um uns herum zum Ausdruck bringt.
Interview mit Dr. Andrea Brockmann, Leiterin der Abteilung Museen und Galerien der Stadt Paderborn
Stadtbesetzung in Paderborn – eine Premiere?
Paderborn ist 2020 meines Wissens zum ersten Mal mit dabei gewesen. Dabei schätze ich besonders die direkte Verbindung zum Kultursekretariat NRW Gütersloh als Förderinstitution. Außerdem bin ich Mitglied im Arbeitskreis Bildende Kunst und habe die Projektentwicklung schon in meiner Zeit in Schmallenberg als Leiterin des Kulturbüros aktiv verfolgt. Das Ziel des Projekts Stadtbesetzung, Kunst auf offene Straßen, unmittelbar hin zu den Menschen zu bringen, ist aus meiner Sicht prädestiniert dafür, gerade Museen partizipatorisch anzusprechen. Dieser Ansatz ermöglicht es, Kunst quasi „barrierefrei“ im Stadtraum zu begegnen, ohne durch die Tür eines Museums gehen zu müssen.
Wie ist das Projekt „Irrgäste“ entstanden?
Die fünf städtischen Paderborner Museen haben 2020 erstmals ein gemeinsames Ausstellungsprojekt erarbeitet, das sich unter dem Titel „Get dressed!“ dem Thema „Kleid“ in seiner Vielfalt genähert hat – und zwar nicht nur bezogen auf Kunst und Design, sondern auch auf Gesellschaft, Geschichte und Natur. Zu diesem multiperspektivischen Ansatz, der in der Ausstellung „anziehend“ in der Städtischen Galerie in der Reithalle das Kleid als Material, Form und Motiv in der Bildenden Kunst thematisierte, passte die Performance „Irrgäste“ von Guda Koster und Frans van Tartwijk aus Amsterdam natürlich besonders gut. Die „living sculptures“ ergänzten beziehungsweise erweiterten die große Bandbreite der künstlerischen Annäherungen mit Werken von Joseph Beuys, Pablo Picasso, Ulla Reiss, Dieter Roth, Ansgar Skiba, Rosemarie Trockel und vielen anderen international bekannten Künstlerinnen und Künstlern und brachte sie in den öffentlichen Raum.
Wie würden Sie die Kunstszene von Paderborn beschreiben?
Die Kunstszene in Paderborn ist vielfältig und besteht aus unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren. Sie sind miteinander vernetzt, laden regelmäßig zu den Offenen Ateliers ein und stehen in guter Verbindung zum Kunstverein und zu Ateliergemeinschaften. Die Museums- und Galerielandschaft in der Paderborn ist beachtlich. Neben dem kirchenreligiösen Bereich findet eine rege Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Kunst statt. Mit Schloß Neuhaus verfügt Paderborn über ein Kunstquartier an der Peripherie. Von hier aus ist es nicht immer leicht, die Anbindung an die Kunstschaffenden im Stadtzentrum zu gewährleisten. Oftmals fehlt mir der Diskus, das Treffen mit den Künstlerinnen und Künstlern. Auch hier konnte das Stadtbesetzungs-Projekt einen guten Verbindungsbogen schlagen.
2020 war ein besonderes Jahr… Welchen Einfluss hatte die Corona-Pandemie auf die Museumsprojekte?
Die ersten Lockdown-Maßnahmen im März haben uns kurz zögern lassen. Doch uns war es wichtig, „Get dressed!“ auch unter den erschwerten Bedingungen mit entsprechenden Hygienekonzepten zu realisieren. Uns war daran gelegen, auch in diesen Zeiten kulturelles Erbe zugänglich zu machen.
Und die Planungen für die Stadtbesetzung?
Auch die Stadtbesetzung wollte ich nicht einfach absagen und habe mutig daran festgehalten. Das führte dazu, dass wir den September-Termin noch einmal auf den 24. Oktober verlegen mussten und unser Künstlerpaar tatsächlich an diesem Samstag morgens in Amsterdam gestartet ist, die Performances konzentriert aufgeführt hat und nach Kaffee und Kuchen wieder nach Hause gefahren ist, um die Problematik der Übernachtung zu umgehen. Corona-technisch waren wir auf der sicheren Seite: Die Performances fanden draußen statt, ohne konkrete zeitliche Ankündigungen, sodass Interessierte en passant Urban Art erleben konnten. Mit ihren Textilskulpturen aus weichem Stoff und auffallenden Mustern waren Künstlerin und Künstler natürlich auch perfekt maskiert. Schon im November wäre dies nicht mehr möglich gewesen. Alles war also genau passend!
Wie waren die Reaktionen des Straßenpublikums?
An vier verschiedenen Orten in der Stadt traten Guda Koster und Frans van Tartwijk jeweils als andere lebende Skulpturen auf. Und an jedem Ort hat es anders funktioniert. Den Anfang machte um 11 Uhr der Domplatz, an dem gleichzeitig der Wochenmarkt stattfand. Es kam zu direkten Kontakten mit interessierten Passantinnen und Passanten, die das Gespräch mit den Künstlern suchten. Sechs bis sieben Personen kamen dann auch eine Stunde später zum zweiten Performance-Standort an der Theologischen Fakultät, wohin spontan auch Personen über Social-Media-Posts gekommen waren. Der dritte stark besuchte Ort in der Fußgängerzone war geprägt von zahlreichen vorbei hastenden Menschen. Manche blieben stehen und zückten ihr Smartphone, um zu fotografieren. Die Skulpturen wurden als ungewöhnlich im Stadtraum wahrgenommen, eine tiefere Auseinandersetzung habe ich allerdings vermisst. Im Pader Quellgebiet, dem vierten Standort, kam es zu zahlreichen Gesprächen mit Spaziergängern, deren Verweildauer bei den „Irrgästen“ am längsten war.
Was ist das Besondere an der Stadtbesetzung?
Für uns in Paderborn war es von großer Bedeutung, dass die Stadtbesetzung dennoch im Oktober 2020 stattfinden konnte. Damit war es möglich, das Thema „Skulptur im öffentlichen Raum“ in der Wahrnehmung und Diskussion der Stadtgesellschaft wachzuhalten. Der partizipatorische Ansatz, mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen, Kunst vor Ort zu erleben, wo man sie zunächst nicht vermutet – all das ist im Rahmen der Stadtbesetzungs-Projekte intendiert und dank unserer „Irrgäste“ aus Amsterdam auch sehr gut in Paderborn gelungen.
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Drei Tage und drei Brote – dazwischen viele Schritte, Gespräche und Begegnungen. Mit Gasherd und kleinem Schilderwald an Bord war das MOBIL FÜR HIER UND JETZT wie ein Wiedergänger in der Innenstadt Paderborns unterwegs, hat Blicke auf sich gezogen und Nachfragen provoziert. Scheppernd, langsam, aber erstaunlich wendig hat sich das eigentümliche Gefährt durch den Stadtraum bewegt und dazu aufgefordert, für einen bewussten Moment aus der Hektik des Alltags auszusteigen.
Der Teig – nicht nur im Untertitel des Projekts, sondern auch ganz real mitgeführt – war wie ein Pate, der symbolisch das Diktat der schnellen Taktung hinterfragte. Schließlich brauchte die klebrige Masse viele Stunden, um sich bei langer Teigführung in ein schmackhaftes Sauerteigbrot zu verwandeln. Gut Ding will Weile haben. Unser Teig hatte Zeit. Ein gutes Erlebnis braucht jedoch keinen großen Aufwand. So hat sich das MOBIL FÜR HIER UND JETZT als dezidierter Kontrapunkt zur aufgeregten Eventkultur verstanden, indem es improvisiert und schlicht auftrat. Das Angebot war beschränkt, die Handlungen einfach: langsam Gehen, an einem Ort stehen, chorisch flüstern oder Brot essen.
Wie sehr es die Wahrnehmung verändert, wenn man sich der Öffentlichkeit aussetzt, haben die Menschen erlebt, die sich darauf eingelassen haben, mit einem Schild in der Hand eine Weile für das HIER und JETZT einzustehen. Sowohl das Anschauen der Umgebung als auch die Selbstwahrnehmung konnten sich verändern, fokussieren. Wie einen „Anker im Moment“ haben einige Mitmachende das Stehen mit Schild beschrieben, das sie im Handumdrehen zum Teil der Aktion werden ließ. Eine simple Handlung machte den öffentlichen Raum zur Bühne, die offen ließ, wer in welchem Moment Angeschaute*r und wer Betrachtende*r war. „Ich kenne mich in Paderborn sehr gut aus und habe diesen Ort doch ganz und gar anders wahrgenommen.“, so eine Teilnehmerin, die sich zum verweilenden Stehen mitten in der Stadt überwunden hatte. Drei Tage lang war das MOBIL in der Domstadt sichtbar. Wer sich Zeit ließ, konnte das HIER UND JETZT erleben, ergehen, hören und schmecken. Unser Teig war nicht nur ein stetiger Begleiter, sondern auch ein verlässlicher – trotz Geholper über Kopfsteinpflaster ließ er sich am Ende eines jeden Aktionstages zu einem knusprigen Brot backen.
Fotos: © Michael Austermeier
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