Rei Maeda: Zeitbasierte Kunst bei der Echigo-Tsumari Art Triennale

Die Echigo-Tsumari Art Triennale (ETAT) zählt zu den weltweit größten Kunstfestivals. Sie wurde im Jahr 2000 begründet und findet in der Präfektur Niigata im nördlichen Teil der japanischen Hauptinsel statt.

Die Region zeichnet sich u. a. durch die enge Beziehung von Mensch und Natur, den landwirtschaftlichen Reisanbau und heftige Schneefälle aus. Während die jüngere Generation in die Städte zieht, nimmt die Landbevölkerung ab. Vielerorts herrscht Leerstand. Im Zuge der ETAT werden leerstehende Gebäude neu genutzt und die Landschaft mit Kunstwerken bespielt. Bisher haben über 1.000 Künstler*innen aus aller Welt Arbeiten in den Reisfeldern geschaffen, wovon mehr als 200 Werke permanent zu sehen sind. Bei jeder ETAT entstehen rund 100 weitere Kunstwerke, die die besondere Landschaft und Bezüge zwischen Natur, Kunst und Menschen herstellen.

Zur ersten ETAT im Jahr 2000 wurde die renommierte Performance-Künstlerin Marina Abramović eingeladen. Sie nutzte ein leerstehendes, über 100 Jahre altes Haus als Ort für ihre künstlerische Arbeit: Das „Dream House“, ein Ort zum Träumen, entstand. Abramović ließ die Architektur und traditionelle Struktur bestehen, veränderte aber Zweck und Funktion des Hauses. Es wurden ein „Instruction Room“, ein „Washing Room“ und vier „Dream Rooms“ eingerichtet. Interessierte können im „Dream House“ übernachten. Dabei folgen sie den von Abramovićs entwickelten Ritualen. Jeder Gast bezieht einen der vier Farbräume (Rot, Blau, Grün oder Violett), kleidet sich in einen farblich zum Raum passenden Ganzkörperanzug/Overall und schläft in einem speziellen, sargähnlichen, oben geöffneten Holzkasten. Ihre Träume können die Übernachtungsgäste in einem Buch niederschreiben. Auf diese Weise wurden von 2000 bis 2010 über 1.800 Träume archiviert. 100 davon flossen in die erste Ausgabe der Publikation „Dream Book“, die 2012 erschien. Das „Dream Book“ fungiert als Traum-Archiv und ist eine wichtige Werkkomponente. 2011 wurde das „Dream House“ durch ein Erdbeben stark beschädigt, im Anschluss wieder aufgebaut und konnte rechtzeitig zur ETAT2012 wiedereröffnet werden.
Die Übernachtungsgäste werden in diesem zeitbasierten Kunstwerk zu wichtigen Akteur*innen, erfahren das Schlafen/Träumen auf ganz besondere Weise und tragen etwas sehr Persönliches, nämlich ihre nächtlichen Erlebnisse, ihre eigenen Träume, zum Kunstwerk bei. Die Partizipation des*r Betrachters*in besteht hierbei nicht nur im Beobachten oder in der aktiven Teilnahme am Werk, sondern bezieht darüber hinaus noch die tiefere Bewusstseinsebene des Schlafes mit ein. Die Träume werden zu Zeitskulpturen und sind essentieller Bestandteil der Installation/Performance sowie des Buchs. Inzwischen ist das „Dream House“, das als zeitbasiertes Projekt für die ETAT2000 entstand, zu einem bleibenden, permanenten Teil der Gemeinde geworden.

(Übersetzung, Zusammenfassung und Ergänzungen von Jacqueline Koller, Kunsthistorikerin)

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