Interviews

Interview mit Stephanie Sczepanek

Ein Stadtplan von Ahlen. Darauf sind verschiedene Zeichnungen und Fotos eingefügt worden.

2022 suchte die Künstlerin Stephanie Sczepanek gemeinsam mit Schüler*innen des Städtischen Gymnasiums Geschichten in Ahlen und übertrug sie in den digitalen Raum. Im folgenden Interview erfahren Sie mehr über die Idee.

Was ist aus Ihrer Sicht die Bedeutung von Kunst im öffentlichen Raum?

Ich begreife den öffentlichen Raum als eine Form des Prozesses. Im öffentlichen Raum spiegelt sich das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Er bietet auch die Möglichkeit, anonym in der Masse zu verschwinden, aber auch ihn in unterschiedlichen Communities aktiv zu gestalten, jedoch mit vielen Hindernissen für die beteiligten Akteur*innen. Die Kunst, die sich im öffentlichen Raum bewegt, ist geprägt von Kommunikation. Dabei spielt immer wieder die Art der Kommunikation und die Hinterfragung der Form der Kommunikation eine wichtige Rolle. Sowohl das gesprochene und das geschriebene Wort als auch Bilder jeglicher Art ermöglichen es, sich sowohl in bekannten und unbekannten öffentlichen Räumen zu bewegen. Das erzeugt künstlerische Potentiale und unabhängig davon, ob sie konkret und fassbar sind oder nicht, können diese durch einen künstlerischen Akt gestaltet werden. Hierbei wird die Gesellschaft selbst zu ihrem eigenen Material.

Das Denken des Menschen verändert sich durch die Sprache und kreatives Handeln und somit formt sich auch die Gesellschaft selbst. Ein solcher Prozess, der es den Beteiligten ermöglicht, Einfluss auf das zu nehmen, was passiert und aus der Situation heraus unvermittelt und direkt agieren zu können, ermöglicht einen Austausch zwischen (Kunst-)Objekt und Betrachtenden im Moment der Begegnung. Dabei werden die Blicke, durch die eigenen Erfahrungsmöglichkeiten, für das Gewohnte hinterfragt. Letztlich entscheidet die betrachtende Person, was Kunst ist und was nicht und das wird immer wieder bei der Betrachtung von Kunst neu verhandelt und bestimmt.

Der öffentliche Raum wird durch die Nutzung von digitalen Medien im speziellen der Nutzung von Augmented und Virtual Reality erweitert. Es stellt sich nicht nur die Frage, wem der öffentliche Raum gehört – die bis heute immer noch stark umstritten ist –, sondern wem auch der virtuelle Raum gehört. Ist dieser überhaupt öffentlich? Weiter lässt sich fragen inwiefern der virtuelle Raum den realen öffentlichen Raum verändert und umgekehrt.  Schlagworte wären hierbei: Monopolisierung von virtuellem Raum, künstlerische Handlungen, Digitale Verantwortung

Gemeinsam gründeten wir (Sandra Pulina und Stephanie Sczepanek) 2022 das Digital Studiospace Laboratory for Performance (DSLP), ein virtuelles Atelier und virtueller Präsentationsraum im Metaverse der Plattform Spatial.io, das Künstler*innen ermöglicht, mit digital zugeschalteten Besucher*innen zu interagieren und so gemeinsam Hybridformate in der analogen und digitalen Realität zu entwickeln. Die derzeitige digital räumliche Entwicklung wurde gefördert durch den Deutschen Künstlerbund, Programm NEUSTART Kultur, unter der Mitarbeit der Künstler Malte Frey und Julian Reiser. Wir gehen Fragen der Zugänglichkeit von Kunst nach, ebenso von Macht und Besitzansprüchen im digitalen Raum. Wer erschafft und herrscht über digitale Räume und wie können künstlerische Handlungen, virtuelle Räume zurückgewinnen? Wir bauen uns mit unseren eigenen virtuellen Räumen in bereits bestehenden Formaten ein und schaffen einen „Digital Studiospace“, der es einer Community von Künstler*innen und Interessierten ermöglicht, vermeintlich gesetzte Formate und Wahrnehmungen des digitalen Raums neu zu erfahren und zu hinterfragen. Wir sind eines der ersten Künstler*innenkollektive, die diese Fragen nach Macht- und Raumdiskursen im virtuellen Raum durch künstlerisch kooperativen Handlungen nachgehen.

 

Was macht das Projekt Stadtbesetzung Ihrer Meinung nach aus?

Das Projekt Stadtbesetzung erzeugt Situationen und Prozesse, die als Möglichkeit des Erkennens und Nachdenkens über die jeweilige Rolle aller Beteiligten im Hinblick auf die Bedeutung der eigenen, oft unbewussten Gestaltungsmacht verstanden werden können. Welche Bedingungen entstehen, wenn mittels der gemeinsamen künstlerischen Handlung Subjekte, Rollen sowie Hierarchien hinterfragt und aufgebrochen werden? Damit stellt sich die Frage nach dem individuellen Erfahrungspotential solcher Situationen und welche Rolle dabei die Tatsache spielt, dass es sich um eine Auseinandersetzung mit Kunst, besonders mit Gegenwartskunst handelt. Für das performative Handeln bedeutet dies, dass eine Situation entsteht und/oder ein Raum eröffnet wird, aus der/dem heraus die Teilnehmer*innen handeln und Einfluss auf das nehmen können, was passiert.

 

Wie war die Resonanz bei den Besucher*innen?

Der Austausch und die kritische Auseinandersetzung im Machen war ein wichtiger Bestandteil des Projektes und die Reaktionen waren insofern Teil des künstlerischen Prozesses. Das Sprechen und Tun über und mit Kunst stellt eine Situation her, die zu einer gemeinsamen Handlung befähigt, so waren auch die Rückmeldungen der Beteiligten. Die performative Handlung begleitet im Dialog, regt Diskussionen an und vermittelt zwischen den verschiedenen Perspektiven. Zugleich können die Arbeiten vielschichtig erforscht sowie hinterfragt werden. Die Performance, die auch als Live-Art bezeichnet wird, ist auf den Moment des Machens und Erlebens konzentriert. Sie ist oftmals flüchtig und hinterlässt allenfalls dokumentarische Fragmente.

 

Erzählen Sie uns etwas über das Projekt – Wie kam es zu der Idee, was war Ihre Intention?

Die meisten meiner Arbeiten sind performative Handlungen. Einfache Dinge, die sofort stattfinden können. Oft werden die Handlungen und Situationen nur durch kurze Texte dokumentiert. Einfache Handlungen, alltägliche oder beiläufige Gesten. Leichte Verschiebungen. Spontane Sofortmaßnahmen, die in den normalen Lauf eingreifen. Eine bedeutungslose Berührung oder eine handfeste Verwicklung. Ein harmloses Wort oder eine Provokation. Es ist zu tun, was zu tun ist.

Die entstandenen analogen und digitalen Teilwerke werden in der Augmented Reality zusammengeführt, virtuelle Anteile mischen sich mit der realen Wirklichkeit. Das heißt, einzelne Arbeiten werden mittels der Augmented Reality durch Objekte, Überlagerungen oder Effekte erweitert und wieder in die reale Welt integriert. So können zum Beispiel direkt durch den Handybildschirm (mobiles AR) Elemente angezeigt werden, die sich auf die reale Umgebung legen. Dies lässt im Zusammenspiel mit Konzepten der Performativität eine Form des digitalen Storytellings entstehen.

Dabei spielen sowohl in der realen Welt als auch in den digitalen prozessorientierten Handlungen genauso eine wichtige Rolle wie Kooperation und Vernetzung. Die eigene künstlerische Praxis nehme ich bei dieser Gelegenheit als Ausgangspunkt, wie ich selbst vermittelnd tätig bin (künstlerischen Vermittlung). Aus diesem künstlerischen Tun entwickelte sich auch die Projektidee zu JUST A GOOD STORY?!.

Künstlerisches Arbeiten lässt erkennen und erfahren, dass die Wahrnehmung der Welt, die uns zumeist als gegeben erscheint, ein prozesshaftes Verhandeln ist, an dem wir selbst aktiv beteiligt sind und damit entsprechend gestaltend eingreifen können. Dieser Prozess, der jeder Veränderung von Wirklichkeit vorausgeht, wird im Rahmen des Workshops zugänglich und sichtbar. Ausgangspunkt sind individuelle Wahrnehmungen, Erfahrungen und Perspektiven, die im Austausch mit anderen vergegenwärtigt, hinterfragt und bildnerisch umgesetzt werden.

Der in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Ahlen entstandene Workshop arbeitete inhaltlich im künstlerischen Machen an digitalen und virtuellen Erzähl- und Präsentationsform und beschäftigte sich mit Fragen digitaler Identitäten. Dabei spielten Phänomene der Kommunikation eine zentrale Rolle, ebenso wie Techniken der Recherche in der analogen wie digitalen Welt. Die Umsetzung erfolgte als kollektive Form künstlerisch-praktischer Arbeit. Wir suchten zunächst eine Vielzahl öffentlicher Orte des täglichen Lebens in der Stadt Ahlen aus und auf und verbrachten dort gemeinsam Zeit. Je nach Situation entstanden Gespräche, Interventionen, Aktionen und Handlungen, die eines gemeinsam haben: WIR HÖREN ZU; WIR HÖREN HIN. Im Anschluss recherchierten wir über diese Orte in den sozialen Medien auf Instagram und TikTok. Hierbei können neben Fakten auch Geschichten oder Gerüchte eine Rolle spielen. Dabei beschäftigten uns verschwenden Fragestellungen: Welche reale Welt und welche digitale Welt werden uns bei diesen Recherchen begegnen? Welches, vielleicht widersprüchliche Bild der Stadt wird erkennbar und wie gehen wir damit um? Das, was wir gehört, wahrgenommen und erlebt haben, übersetzten wir schließlich in eine gemeinsame künstlerische Arbeit, die während der performativen Handlung weitere Eindrücke und Perspektiven anderer Menschen aufnahm. Die Teilnehmer*innen arbeiteten mit iPads und/oder Smartphones und mischten virtuelle Anteile mit der realen Wirklichkeit. Mittels der Augmented Reality werden Texte, Geschichten oder Zeichnungen durch Objekte, Überlagerungen und Effekte erweitert und wieder in die reale Welt integriert. Den Abschluss des Projektes bildete die Präsentation der Materialien in Form eines virtuellen Stadtplans, der real erkundet werden kann und durch entsprechende AR-Anteile ergänzt wurde. So entwickelt sich eine Form des digitalen Storytellings, dass einer anonymen Öffentlichkeit sichtbar gemacht werden kann durch die Platzierung von QR-Codes.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Foto: © Just a good Story? Stephanie Sczepanek