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„Psychomania“: Künstler schauen ins Innere des Standbilds Germania

Im Rahmen des Siegener Urban Art Festivals besetzen David Rauer und Samuel Treindl ein Denkmal und schaffen einzigartige Kunst: Aus der „Germania“ wird „Psychomania“.

Die „Germania“ gehört seit über 140 Jahren zum Stadtbild von Siegen. Von der obersten Plattform aus überblickt sie die Fißmer-Anlage und den Siegener Markt.  Das Standbild, 1877 gestaltet von Professor Friedrich Reusch, erinnert an die Gründung des Kaiserreiches nach den sogenannten Einigungskriegen (Deutsch-Dänischer Krieg 1864, Deutscher Krieg (auch Preußisch-Österreichischer Krieg) 1866, Deutsch-Französischer Krieg 1870/71). Seit dem 8. Juli verändert sich die Germania. Sie ist von einem Gerüst aus bunten Metallrohren umgeben. Neben der Statue steht ein Arbeitstisch mit Knetmasse, Forminstrumenten und sonstigen Utensilien. Schnell wird klar: Hier handelt es sich nicht um eine Sanierung des Denkmals. Nein, Hier entsteht Kunst.

Und richtig: Zwei junge Männer werkeln an dem amorphen Gerüst, das die Germania umstellt, fügen ihm neue Elemente hinzu. Mit der Knetmasse formen Sie einen der Helme nach, die am Denkmalsockel in Stein gemeißelt sind. Die beiden jungen Männer sind Samuel Treindl und David Rauer. Mit ihrem Projekt „Psychomania“ nehmen sie teil am Siegener Urban Art Festival „Out and About“. Am 8., 9. und 10. Juli arbeiten sie vor Ort, das heißt auch vor den Augen der Passanten und mit der ausdrücklichen Offenheit, mit diesen ins Gespräch zu kommen.

„Psychomania“ ist eine Wortbildung aus „Psychologie“ und „Germania“ erläutert David Rauer, Absolvent der Kunstakademie Münster und Dozent an der FH Osnabrück im Bereich Entwurf & Raum. Zusammen mit Samuel Treindl, der ebenfalls in Münster Design studierte, geht Rauer in seinen Arbeiten der Frage nach, ob und auf welche Weise das Innere einer Skulptur mit bildhauerischen Mitteln sichtbar gemacht werden kann.

Dieser Sichtbarmachung dient die Nachformung von Elementen des Originals aus armiertem Gips. Diese sind keine exakten Kopien. Ungenauigkeiten sind gewollt und Teil des Konzepts. Die neu entstandenen Formen werden an dem zuvor gestalteten Gerüst befestigt. So wächst im Verlauf von Tagen um das Original eine Ansammlung von konkreten und abstrakten Objekten, die als eine Interpretation des Ausgangsmotivs gelesen werden könnten.

„Was machen Sie denn mit unserer schönen Germania?“ Ein Fazit.
Nach drei Wochen endet am 25. Juli das Kunstprojekt „Psychomania“, mit dem das Künstler-Kollektiv David Rauer und Samuel Treindel die knapp 150 Jahre alte Statue der Germania einer Interpretation mit bildhauerischen Mitteln unterzog. Mehrere Tage arbeiteten Rauer und Treindel vor Ort und hatten dabei Gelegenheit, die Reaktion der Passanten auf die Verwandlung des Denkmals entgegenzunehmen.

Für die beiden Akteure zieht David Rauer folgende Bilanz ihrer Unternehmung in Siegen: „Wir haben schon jetzt das Gefühl, dass es aus künstlerischer Sicht ein Erfolg war. Uns ging es von Anfang an darum, Kommunikation an dem unmittelbaren Ort des Germania-Kriegerdenkmals in Gang zu setzen. Wir haben der ca. 150 Jahre alten bildhauerischen Arbeit zeitgenössische Attribute hinzugefügt. Das Gerüst, an dem die Attribute angebracht waren, wirkte wie eine zweite Haut. Die Figur Germania bekam eine neue Lesart: temporär wurde sie aus der Funktion des rein heroischen Kriegerdenkmals heraus befördert. Sie wurde Teil einer gesellschaftlichen Untersuchung.“

Während ihres Aufenthalts in Siegen, vom 8. bis 10. Juli, luden Rauer und Treindel BürgerInnen ein, selbst vor Ort neue Attribute zu modellieren oder Mitgebrachtes abformen zu lassen. So wurden Kriegerhelme zu Baseballcaps mit Hermesflügeln, Lorbeerkränze zu Handys, die wiederum mit Siegener Schwarzbrot korrespondierten.  Das Schwert der Germania wurde umgeformt zum Eis oder auch zu einer mitgebrachten Schamanen-Rassel,  dem jungen, mütterlichen Gesicht der Germania wurde ein lemurenhaftes Geistergesicht gegenübergestellt, dem Reichsadler ein Fantasietier aus der Tiefsee.

An Kommentaren zur psychologisierten Germania mangelte es nicht, wie David Rauer versichert. Hier einige Zitate:

„Sagen Sie, wie lange soll das hier stehen bleiben?“ fragte eine Frau. „Diese Kunstaktion dauert ca. 14 Tage.“  „Ach so, na dann ist ja alles gut, dann ist dieses scheußliche Ding endlich wieder weg.“

„Das ist aber mal dringend notwendig, dass Sie der Germania eine neue Sichtweise verpassen!“

„Was machen Sie denn mit unserer schönen Germania?“

„Entschuldigen Sie, ist das eine Baustelle? Wird die Figur restauriert?“

„Hierfür werden Steuergelder verschwendet, wir haben ganz andere Probleme!! Eine Frechheit!“

„Ach, das ist ja ganz herrlich, dass dieser Ort hier wieder belebt wird. Es ist ja sowieso ein fragwürdiges Denkmal.“

„Die Germania habe ich mir noch nie so genau angeschaut.“

Rauer weiter zu seinen Erfahrungen: „Aus den politischen Lagern links wie rechts wurde versucht, die Aktion ins rein Politische zu ziehen. Dem konnte die Aktion aber auch sehr viel Offenes entgegnen. Das war uns sehr wichtig. Mit Bürgern, die tatsächlich mitgearbeitet haben oder mit uns weiter ins Gespräch kamen, konnten wir sehr viel über die Eigenarten der Siegener erfahren. Da ging es dann mehr über die Stadt und das Leben in Siegen als um die Germania in ihrer Bedeutung. Diese Momente haben uns gezeigt, dass wir den Ort der Germania mit Lebendigkeit und Leichtigkeit füllen konnten.“

Eingeladen zur Teilnahme am Siegener Urban Art Festival wurden David Rauer und Samuel Treindl von KulturSiegen auf Vermittlung von Universitätsprofessorin Johanna Schwarz, Fachbereich Kunst. Mehr Info zum Festival „Out and about“ unter www.urban-art-siegen.de.

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